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[Woyzeck] Wie wahnsinnig ist Woyzeck eigentlich?

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Beitrag von Viasalar Mo Mai 16, 2011 7:10 pm

Woyzeck erscheint ja im Stück teilweise als total verrückt, zum Beispiel, als er auf dem Feld Stimmen hört. Dann hat er aber auch wieder Stellen, an denen er alles um sich herum ganz gut versteht und sich auch selbst Gedanken darüber macht, zum Beispiel gegen Anfang (je nach Ausgabe) die Szene, wo er den Hauptmann rasiert und über Tugend und Moral redet.
Woyzeck ist vielleicht das, was wir heutzutage als "paranoid schizophren" bezeichnen würden, aber ist das schon immer so? Wenn ja, wieso hätte sich dann Marie in ihn verlieben sollen? Oder liegt es an der Erbsendiät? Aber selbst die könnte er dann ja unterbrechen? Liegt es an Maries Untreue? Oder daran, wie die anderen ihn behandenln? Oder alles zusammen?
Oder ist Woyzeck vielleicht gar nicht so verrückt, sondern ist es die Welt um ihn herum, die eigentlich wahnsinnig ist? Ich meine, wer ist in diesem Stück eigentlich schon normal? Der Doktor, der einen hilflosen, armen Menschen ausnutzt und sich freut, wenn er ihm eindeutige Ergebnisse für eine "Aberratio Mentalis" liefert? Oder der Hauptmann, der die ganze Zeit über Gott und die Welt philosophiert und (als Hauptmann!) die Ruhe über alles liebt? Oder Marie, die weiß, wie sehr sich Woyzeck um sie bemüht und einfach nur aus Lust, nicht aus begründeter tiefer Liebe, eine Affäre mit dem Tambourmajor anfängt? Wer ist eigentlich verrückt, Woyzeck, die Welt oder alles zusammen, und wer macht wen wahnsinnig?

zur Buchbeschreibung "Woyzeck"
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Beitrag von Rhia Mo Mai 16, 2011 11:52 pm

Über den Gedanken, daß eigentlich alle verrückt sind hab ich ehrlich gestanden noch überhaupt nie nachgedacht, ja, das klingt schon sehr merkwürdig, wie sich Hauptmann und Arzt verhalten^^, nur ich glaube, das könnte da auch so eine Stelle sein, bei der wir nicht nach heutiger Ansicht nachdenken und urteilen dürfen, weil es eben damals ein anderes Weltbild und eine anderes Denken, auch nach Gesellschaft und Ständen, gegeben hat.

Woyzeck hat auf jeden Fall schon wie man so sagt, den Hang zur Schizophrenie oder zur Paranoidität (gibt es das Wort^^?), glaub ich, er neigt ja mehrmals zu sehr überspitzer Wahrnehmung und scheint manchmal dadurch auch in seiner eigenen Welt zu leben oder von dieser "Wahnwelt" verschluckt zu werden und nichts mehr richtig mitzubekommen. Er ist wohl auch etwas empfindlich. Andererseits wirkt er aber auch das ganze Stück hindurch einfach nur abgehetzt, weil er sich ja auch aufreibt, um für seine Partnerin und seinen Sohn zu sorgen. Man könnte seinen "Zustand" daher auch in gewissem Sinn seiner enormen nervlichen Belastung zuschreiben.... Weil, wenn man sehr müde ist, hat man doch eigentlich auch überspitzte Eindrücke, die fast rauschähnlich sein können und man ist reizbarer... So könnte ich mir das auch bei ihm vorstellen. Die Erbsendiät ist wirklich krankhaft und damit auch ein Stück weit der forschende Arzt, dem dieser "Versuch" ja manchmal sogar Spaß zu machen scheint? Und diese Haltung hat für mich wahnhafte, wahnwitzige Züge! Andererseits waren solche Experimente in dieser Zeit glaube ich auch "modern"...
Der Hauptmann ist finde ich wenig verrückt, er ist nach seinen Aussagen (ich hab sie leider nicht mehr recht im Kopf ...) eher strikt rechthaberisch und vorurteilsbehaftet und hat einen argen Dünkel.
Laut Stück fliegt Maries Affäre erst relativ spät auf, ich würde sie daher als i-Tüpfelchen für Woyzeck einstufen, was dann das Faß zum Überlaufen bringt..
Letztlich würde ich sagen, daß es wirklich ein Teufelskreis ist: Woyzeck hat schon den Hang zum Wahn und die Gesellschaft höhlt ihn bis zum Extrem aus.... W. ist schon die Glut und die Gesellschaft facht ihn so lange an bis es zum Großfeuer kommt...
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Beitrag von Viasalar Do Mai 19, 2011 12:19 pm

Paranoia, nicht Paranoidität. =) Eigentlich kann ich da nichts dagegen sagen, höchstens zu dem einen Punkt: Hat Woyzeck wirklich einen Hang zum Wahn oder würde nicht jeder in seiner Situation genauso reagieren? Er ist ja immerhin - abgesehen mal von seiner Krankheit - ein sehr edler Charakter, oder? Ich meine, er kümmert sich um Marie, obwohl er nicht müsste und denkt auch immer an die anderen bevor er an sich selbst denkt. Ganz beeindruckend finde ich da die Hauptmannszene gegen Anfang (bei der Oldenbourg-Ausgabe erste Szene): Da behauptet der Hauptmann, er sei kein guter Mensch, weil er ein uneheliches Kind habe, ich hab jetzt den Verlauf des Gesprächs nicht so genau im Kopf, jedenfalls sorgt sich Woyzeck eher darum, wie Gott das Kind sieht, nicht um sich selber.

Auch als er von Maries Affäre erfährt, zeigt er in einem gewissen Maß Verständnis und sagt, es kommen ja viele Leute vorbei wenn sie den ganzen Tag über alleine ist und er wünschte sich nur, er wäre er (also ihre Affäre) gewesen. Eigentlich ist er also nicht blind eifersüchtig und auf keinen Fall egoistisch, sondern ein sehr verständnisvoller und altroistischer Charakter.

Die Frage ist also, wieso dann ausgerechnet er seine Frau umbringt; wenn er so verständnisvoll ist, kann er ja keinen Hang zur Aggressivität und zum Wahn haben. Ist es nicht vielmehr so, dass die Situation, also das Umfeld, Woyzeck, der eigentlich der letzte ist, von dem man so etwas erwarten würde, in den Wahn treibt?
Somit wäre Woyzeck, um in deiner Metapher zu bleiben, eigentlich ein schwer entzündbares Holz, das die Gesellschaft so lange anfacht bis es beginnt zu brennen.
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Beitrag von Rhia Fr Mai 20, 2011 8:37 pm

Vielleicht hat Woyzeck diesen „Hang zum Wahn“ oder zu
überspitzter Wahrnehmung entwickelt, WEIL er fürsorglich und altruistisch ist? Er versetzt
sich ja sehr in die Gefühle anderer hinein und nimmt viel wahr was andere erst
gar nicht sehen würden/können?

Woyzecks Altruismus wirkt für mich auch so, daß er auch wie
ein „guter Mensch“ objektiv urteilen will. Dafür stellt er seine Gefühle
vielleicht auch manchmal sehr in den Hintergrund…
Er zeigt beispielsweise Verständnis für Marie...
beeindruckend, es muß bei ihm echte tiefe Liebe sein...
Wenn man ihn auch so betrachtet, in den übrigen Szenen, dann erkennt man, finde
ich, auch, daß Woyzeck eigentlich kein Typ überstürzter Handlungen ist,
vielmehr bewahrt er einen kühlen Kopf, dem Hauptmann und Marie gegenüber,
selbst, zunächst als sein Mord an Marie auffliegt. Dieses Verhalten spricht
schon gegen eine Paranoia.

Warum tötet der altruistische Woyzeck dann aber seine Liebe Marie, obwohl er
sie versteht und wenn er nicht im Wahn handelt?
Hm, ich denke, er versucht zunächst einmal genau nachzuvollziehen und zu
realisieren, was genau passiert ist. Die Affäre bemerkt hat er ja schon früh
durch Maries Ohrringe (ein Geschenk des Tambourmajors) und gibt Marie sogar
durch seinen Kommentar zu verstehen, daß er längst mitbekommen hat, was sie
tut...
Auch Andres teilt es ihm ja mit.
Wenn ich mich da richtig erinnere, war es so, daß der Hauptmann oder der
Doktor, der Woyzeck durch fiese Andeutungen und Sticheleien reizt und
runtermacht, er verletzt seine Eitelkeit und sein Ehrgefühl.
Andererseits kann man doch hier sein Verhalten, was gruselig
gefühlskalt herüberkommt auch als mechanisch einstufen, was ein ganz anderes Licht auf die ganze Handlung und Intention wirft:
Wenn man Woyzecks Tagesablauf betrachtet, funktioniert er
wie eine Maschine, er tut seinen Dienst als Soldat, funktioniert nach dem
Willen des Hauptmanns, des Doktors und auch
nach dem Mariens. Aber so wie, Woyzeck seine Tat schließlich durchführt, ist es
ein geplanter Mord, keine Affekthandlung, was wiederum einen Wahn nicht ausschließen lässt. Nur ist da natürlich dann schon das Umfeld schuld, daß er schließlich so reagiert.







Also wenn ich bisschen unlogisch schreib: Ich bin grade etwas müde^^ Sleep
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[Woyzeck] Wie wahnsinnig ist Woyzeck eigentlich? Empty Re: [Woyzeck] Wie wahnsinnig ist Woyzeck eigentlich?

Beitrag von Viasalar So Mai 22, 2011 7:12 pm

Gut möglich, dass Woyzeck durch seinen Altruismus eine besondere Scharfsinnigkeit hat. Diese Scharfsinnigkeit wird aber vom Umfeld permanent gestört: Der Hauptmann gibt ihm so deutlich zu verstehen, dass er ein unmoralischer, dummer Mensch ist, der Doktor degradiert ihn zum Versuchsobjekt und Marie, die, wie er selbst sagt, das einzige ist, was ihm bleibt, hintergeht ihn. Das ist eigentlich auch der Zeitpunkt, wo sein Verstand ihm nicht nur abgesprochen wird, sondern eigentlich sein Leiden begründet. Ich hoffe man kann verstehen was ich meine: Woyzecks Intelligenz wird permanent geleugnet, weil er einfach ungebildet ist, und trotzdem ist es diese Intelligenz, die ihn erkennen lässt, dass Marie ihn betrügt. Seine Wahnvorstellungen, die man nicht wegleugnen kann, beeinträchtigen zwar seine Sinneswahrnehmung, allerdings ist Woyzeck zwar vielleicht wahnsinnig aber nie dumm: Schon zu Anfang erzählt er Andres mal von seinen Wahnvorstellungen und hat für alles eine logische Begründung: "Die Freimaurer haben hier unten ein Lager, deshalb ist der Boden hohl." So betrachtet hat der Hauptmann in der Anfangsszene gleich doppelt Unrecht, wenn er sagt, Woyzeck habe keine Moral und sei abscheulich dumm.
OK und nun die Preisfrage: Warum tötet er Marie? Ich denke nicht, dass es dabei um Ehrgefühl und Eitelkeit geht, weil sich Woyzeck als permanent unterdrückter Mensch Ehrgefühl und Eitelkeit gar nicht leisten kann. Es sind die Stimmen in seinem Kopf, die ihm sagen, dass er Marie umbringen soll, der einzige Grund ist Eifersucht, also eigentlich brechen aus Woyzeck, dem "Guten Menschen", die niedrigsten Triebe heraus. "Wenn einem die Natur kommt", sagt er in dem Stück gleich zweimal als Entschuldigung für unmoralisches Handeln, und schließlich ist Eifersucht auch ein natürliches Gefühl und vor allem - aber das muss auch nichts bedeuten - fasst er den Entschluss, sie umzubringen auch auf freiem Feld, in der Natur. Das Gras flüstert ihm zu, er solle sie töten. Vielleicht ist der Mord an Marie einfach ein verzweifelter Schrei nach einem Ausweg aus seiner gefangenen, verzweifelten Situation in die Freiheit und die Natur, er bringt Marie ja auch nicht zu Hause, sondern eben unter freiem Himmel am Teich um. Marie zu töten ist ja eigentlich die komplette Aufgabe seiner Existenz, weil sie ja eben das einzige ist, was er hat. Und an alles weitere scheint er nicht zu denken: Trotz seiner altruistischen Veranlagung ist er nicht in der Lage, zu planen, was aus seinem eigenen Kind werden soll, wenn Marie tot ist. Der Mord ist also vielleicht einfach eine komplette Aufgabe seiner selbst und ein Versuch, aus diesem von dir beschriebenen Tageslauf der Abhängigkeit und des Sich-Fügens auszubrechen.
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[Woyzeck] Wie wahnsinnig ist Woyzeck eigentlich? Empty Re: [Woyzeck] Wie wahnsinnig ist Woyzeck eigentlich?

Beitrag von Rhia Mi Mai 25, 2011 4:04 pm

Das mit den Stimmen finde ich interessant, stimmt, sie treten nur in der "Freiheit" auf, also auf dem Feld und nachts, wenn Woyzeck nicht unter der Fuchtel von jemandem steht, dann brechen sie hervor, völlig wirr und unzusammenhängend... Vielleicht so etwas wie sein eigenes Denken, das nur manchmal zum Vorschein kommt.
Der Mord geschieht sicher aus Eifersucht, aber ich glaube trotzdem, daß verletzte Ehre eine Rolle spielt. Die ist ja irgendwie ein Bestandteil davon, glaube ich. Nicht IHN ehrt Marie sondern den Tambourmajor...

Zur Preisfrage: Beim Mord an Marie denkt er glaube ich nicht mehr weiter oder ihm ist eh schon alles egal, weil er ihre Gefühle für ihn sowieso verloren hat und weil er sie so verloren hat, hat er nichts mehr, und sein Bemühen und seine Fürsorge waren sinnlos in seinen Augen... Hmmm ich glaube ich bräuchte meine Textausgabe Wink

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